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Round Table Talk: Mitarbeiter & Personal in der Veranstaltungstechnik

Lang sind die Klagelisten, sowohl auf Seite der selbstständigen Veranstaltungstechniker als auch auf Seite der Production Companies. EVENT PARTNER und PRODUCTION PARTNER haben im Round Table Talk mit beiden Parteien geredet und nach Lösungsansätzen geforscht!

Quelle: Event Partner 03/2019 | Text: Martina Gawenda | Bilder: Detlef Hoepfner

 

Die einen beschweren sich über Arbeitszeiten und -bedingungen sowie Löhne, die nicht für die soziale Absicherung ausreichen; die anderen über Auftraggeber, die die Verantwortung abschieben, und den Prüfungsdruck seitens der Rentenversicherung hinsichtlich Scheinselbstständigkeit. 

Es muss etwas passieren auf dem Gebiet der selbstständigen Veranstaltungstechniker und Production Companies. Hier sind sich alle einig, und erste Ansätze sind bereits erkennbar, wie der runde Tisch mit Marcus Pohl und Sebastian Duellmann vom ISDV (Interessengemeinschaft der selbstständigen Dienstleister/innen in der Veranstaltungswirtschaft) gemeinsam mit Alex Ostermaier, Geschäftsführer Neumann&Müller, Christian Sommer, Geschäftsführer Ambion, Marcus Leyendecker, Geschäftsführer Lleyendecker und Galia Díez, Vorstand satis&fy, ergab. Die zu lösenden Probleme sind vielfältig: soziale Absicherung, Gefahr der Scheinselbstständigkeit und drohende Klagen seitens des Gesetzgebers, die Wertigkeit von Personal gegenüber Auftraggebern steigern uvm.

Möglicherweise kann die im September 2018 neu gegründete IGVW – Interessengemeinschaft Veranstaltungswirtschaft – eine Veränderung bewirken. Ihr angeschlossen sind neben dem ISDV auch der VPLT, FAMAB, EVVC, DTHG, AUMA, BVB, APWPT, Deutscher Bühnenverein, IgPV und die INTHEGA. Die erste Mitgliederversammlung fand Anfang April statt.

EVENT PARTNER und PRODUCTION PARTNER unterstützen die Diskussion, damit weiterhin auf breiter Ebene gesprochen wird.

Werkvertrag, Rahmenvertrag & freies Arbeiten

EVENT PARTNER & PRODUCTION PARTNER: Mitarbeiter & Personal in der Veranstaltungstechnik – das Thema birgt multiplen Diskussionsstoff, den wirtschaftlichen Aspekt von Personal, die Altersabsicherung sowie den Dauerbrenner Selbstständigkeit.

Marcus Pohl: Es muss natürlich gerade auf unserer Seite, der des ISDV eine ganze Menge mehr an struktureller Arbeit geleistet werden. Die Dienstleister müssen sich darüber viel klarer werden, wer sie sind, was sie sind, was sie tun und was sie anbieten. Deswegen propagieren wir als aktuell wichtigstes Thema den Werkvertrag. Hier geht es ja nicht nur darum, Scheinselbstständigkeit möglichst außen vor zu lassen, sondern wir wollen auch den Selbstständigen klar machen, dass sie ein Bewusstsein für sich selber entwickeln müssen, dass sie Unternehmer sind!

Sebastian Duellmann: Komischer- oder eher erschreckenderweise lesen sich die Selbstständigen die Werkvertragsunterlagen durch und sagen dann: „Muss ich das jetzt wirklich machen?“ Ja! Du solltest das tun! Das gehört zu deinen unternehmerischen Pflichten! Geht man in den Supermarkt und kauft irgendwas, bekommt man eine Quittung. Jeder Automietvertrag umfasst mehrere Seiten an Bestimmungen. Im Grunde ist das nichts anderes. So weiß vorher und hinterher jeder Bescheid, worauf er sich einlässt. In Bezug auf das Werk, das man vollbringen soll, wie auch auf die Vergütung, die man dafür bekommt.

Alex Ostermaier: Das führt natürlich auch dazu, dass sich der Freie mit seinem Auftraggeber auseinandersetzt. Das ist ja bisher in Tiefe nie wirklich richtig passiert.

Pohl: Der einzelne Unternehmer setzt sich ja mit sich selbst auch nicht auseinander. Der sagt einfach, er mache den Job, fährt dahin und fertig. Hinterher wird dann diskutiert, warum das so lange dauert, und wer dafür aufkommt. So würde auch früher über Preise diskutiert werden. Wenn es so weitergeht, wie es bisher lief, wird diese Branche auch weiterhin von der Industrie wie auch der Politik nicht wahrgenommen werden.

Galia Díez: Es ist schon eine enorm wichtige Arbeit, die ihr seitens der ISDV leistet, weil wir uns oft in Basisdiskussionen wiederfinden und erstmal über die Grenzen des Arbeitsrechts aufklären müssen. Wenn wir somit ein gemeinsames Wording finden und ein gleiches Verständnis für die Themen erreichen, wäre die Diskussion einfacher und wir können eine bessere Erwartungsleistung erbringen. Das ist zumindest unser Anspruch, dass wir mit darauf schauen, dass derjenige auch die beste Entscheidung für sich trifft.

Duellmann: Genau. Es muss von vornerein bei jedem klar sein, dass ich gewisse Versicherungen benötige, dass ich ohne diese gar nicht arbeiten darf. Auftragnehmer und Auftraggeber sollten nur noch den Kernpunkt, also den Job besprechen müssen, und nicht noch im Vorfeld „ja, Moment mal – hab‘ ich überhaupt …“.

Christian Sommer: Der Werkvertrag beendet die Diskussion, ob in einem Beauftragungsverhältnis zwischen Firma und Auftragnehmer Arbeiten auf freier Basis möglich ist. Wenn beide Parteien den Vertrag durchgegangen sind und zu dem Schluss kommen, das ist so lebbar – okay.

Pohl: Das ist der wichtige Punkt. Ist es „lebbar“? Man kann viel aufschreiben – aber kann man es tatsächlich so umsetzen, wie es da aufgeschrieben steht?

Sommer: Man kann auch viel diskutieren, aber der Vertrag schafft eine wirklich gute Basis. Er ist wie ein Überprüfungskatalog, bei dem man alle Punkte beantworten und ausfüllen können muss.

Pohl: Ja, das stimmt. Man muss sich wirklich bewusst sein, was es bedeutet, ein Werk mit jemandem einzugehen: Gebe ich als Auftraggeber ein Werk an jemand anderen ab, muss ich diesem auch die Freiheit lassen, es so auszuführen, wie er es will – Hauptsache das Ergebnis stimmt. Denn tausend Wege führen nach Rom. Das beinhaltet auch, dass ich als Auftraggeber nicht mehr hingehe und einen Zeitplan vorgebe. Es ist vielmehr umgekehrt: Ich muss den Auftragnehmer mit einbeziehen, mich mit ihm abstimmen: „Das ist mein Vorschlag für den Zeitplan. Geht das für dich d’accord? Willst du früher oder später anfangen, brauchst du mehr oder weniger Zeit? Dann muss es fertig sein.“

EVENT PARTNER & PRODUCTION PARTNER: Aber ist das praktikabel? Kann das funktionieren? Das ist ja auch die Frage.

Pohl: Ja, das kann funktionieren.

Marcus Leyendecker: Bei einer großen Baustelle mit 20 bis 30 verschiedenen Gewerken kann nicht jeder kommen und gehen, wann er will. Dann liegt plötzlich der Messebauboden und man kommt mit dem Steiger nicht mehr an die nötige Stelle. Also das ist nicht immer ganz praktikabel.

Pohl: Man muss das natürlich synchronisieren, sich zusammen an einen Tisch setzen. Und ich glaube, so zeigt sich teils auch, dass mancher Auftragnehmer um die ursprünglich veranschlagte Uhrzeit noch gar nicht anwesend sein müsste, da er einfach noch gar nichts machen kann. Wenn er zwei Stunden später kommt, kann er an einem Stück durcharbeiten und ist fertig.

Díez: Es ist unser Anspruch, egal ob externer Kollege oder interner Mitarbeiter, auf Augenhöhe zu kooperieren. Was uns als Full-Service-Provider gerade beschäftigt, ist, dass die Zeitspannen immer kürzer werden. Wo wir früher acht bis zehn Wochen Zeit für eine Produktion hatten, reden wir jetzt teilweise nur noch über vier Wochen. Dabei ist es schon ein Kraftakt – gerade bei Großproduktionen – die Kommunikation intern so hinzubekommen, dass nicht alles einfach top-down entschieden wird, sondern weiterhin gemeinschaftlich. Nur, es gibt eben noch Angebot und Nachfrage.

Angebot & Nachfrage

Ostermaier: Das Problem ist: Im Augenblick findet der Kunde immer irgendjemanden, der es für den Preis oder noch ein bisschen tiefer macht. Das ist ganz simpel. Deswegen ist es ja auch so wichtig, dass wir hier miteinander reden. Denn wir müssen dahin kommen, dass es solche Angebote nicht mehr gibt. Punkt 2: Der Endkunde schreibt natürlich in die Lieferantenerklärungen, dass man sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten habe. Muss er auch, das ist ja die Idee eines Gesetzes. Aber er handelt dann anders und versucht, die Verantwortung abzuschieben: „Ich weiß, dass es ein Arbeitszeitgesetz gibt, aber … wir brauchen die Umsetzung an einem Tag.“ Klar, denn die Umsetzung auf zwei Tage auszudehnen, ist natürlich teurer. Dahinter steckt ein nüchternes wirtschaftliches Interesse – das kann ich auch nachvollziehen, wir kaufen schließlich alle sehr gern günstig ein.

Díez: Aber selbst, wenn wir deutschen Anbieter uns vielleicht zusammentun würden, reden wir mittlerweile über einen Wettbewerb in Europa.

Leyendecker: Über Wettbewerber aus China! Ich habe aktuell Kunden, die für die IAA chinesische Firmen anfragen. Wir irre ist das?

Díez: Also ich sehe auch Bedarf für eine Entwicklung und einen Zusammenhalt, aber man muss realistisch bleiben, was unseren Wettbewerb und unsere Freiheitsgrade angeht.

Ostermaier: Auf der anderen Seite müssen wir uns als Branche sauberer synchronisieren. Das haben wir doch schon mal unter Beweis gestellt – am Beispiel des Einsatzes selbstständiger Helfer: Wir haben es flächendeckend geschafft, behaupte ich, diese branchenweit nicht mehr zu engagieren. Es gab einen Schulterschluss in der Branche, weil das rechtlich sehr schwierig ist. Als Alternative etablierte sich die AÜ, die sich aber, ehrlich gesagt, als bürokratisch, teuer und aufwändig darstellt. Da sich in Folge die Branche hier aber verändert hat, verschwand auch das Angebot der selbständigen Helfer.

Duellmann: Ich glaube, bei uns in der Branche passiert erst etwas, wenn der Gesetzesgeber einschreitet. Davor ist es ein echt holpriger Weg. Ihr seid vielleicht diejenigen, die mit Bewusstsein an solche Sachen herangehen. Das hat ja Auswirkungen in beide Richtungen. Wir Selbstständigen müssen uns wirklich bewusstwerden, was wir hier unterschreiben. Was schreiben wir in den Werkvertrag rein? Wie kalkulieren wir unsere Tagessätze? Das geben wir an euch weiter, und auch ihr geht hier bewusst ran. Personal muss bezahlt werden, und zwar vernünftig. Über euch stehen dann die Agenturen, die euch wiederum auf diese Jobs anfragen. Auch die müssen nach klarem Menschenverstand handeln. Aber natürlich versucht jeder, immer günstigere Angebote zu bekommen, und so setzt sich die Kette fort. Wenn der Gesetzesgeber einfach einen Cut macht, dann ist hier Feierabend!

Ostermaier: Wenn der Gesetzgeber das machen würde – da bin ich bei dir –, fände ich das auch super, da dann Regeln für alle geschaffen werden.

Sommer: Damals hatte man die Erkenntnis, dass etwas nicht richtig läuft, und wollte etwas ändern, aber es gab keine Dienstleister, bei denen man legal Helfer beziehen konnte. Die Geschäftsführer haben die Disponenten angewiesen, dass sie nur noch über AÜ buchen dürfen, und dann ging es ganz schnell. Wenn man das auf die heutige Situation überträgt, muss jedes Unternehmen selber bewerten, ob es den jeweiligen Techniker legal selbstständig beauftragen kann. Aber was wäre die Alternative, kommt man zu der Erkenntnis, dass dies nicht der Fall ist?

Ostermaier: Das ist das Problem. Es gibt am Markt nur wenige Techniker, die sich anstellen lassen wollen. Auch im Fall der Stagehands hat es drei bis vier Jahre gedauert. Das sind Prozesse, denen man eine gewisse Zeit geben muss.

Der Wunsch nach Selbstständigkeit & das deutsche Sozialsystem

EVENT PARTNER & PRODUCTION PARTNER: Die aktuelle Situation stellt sich so dar, dass Firmen mit eigenem Personal zu Spitzenzeiten dazubuchen müssen. Dazu kommt der Wunsch vieler Techniker, auch selbstständig zu sein, sich Jobs auszusuchen.

Leyendecker: Wir würden gerne mehr einstellen, wir suchen händeringend Personal, aber man findet niemanden. Natürlich wollen wir die Guten einstellen. Aber wenn man mit zwei Technikern redet, ob sie über eine Festanstellung nachdenken würden, will der eine von beiden das schon gar nicht und der andere hat nicht verstanden, welche Vorteile eine Festanstellung bietet; meint, dass er das, was er jetzt brutto kriegt, auch bei uns netto bekommen würde. Es ist ein ernstes Problem, Techniker überhaupt dazu zu bewegen, sich fest anstellen zu lassen.

Díez: Wir reden nicht über ein Anstellungsverhältnis, sondern über ein Lebensmodell. Was wir sehr früh festgestellt haben, ist, dass selbstständige Techniker sich gerne frei aussuchen, wann sie welche Aufträge annehmen. Hier würde eine Anstellung – abgesehen vom kaufmännischen – auch gar keinen Sinn machen, weil sie einen Einschnitt in die Freiheitsgrade bedeutet. Deshalb haben wir gesagt, dass wir unsere freien Techniker wie Unternehmer behandeln, und sind jetzt dabei, unsere Angebote noch passgenauer zu machen.

Sommer: Wenn man etwas ändern will, muss man auf der jetzt Dienstleister-, später vielleicht Mitarbeiterseite genau zuhören. Was wird gewünscht? Freiheitsgrad. Selbstbestimmung. Diversifikation, in verschiedenen Bereichen arbeiten zu können. Meiner Meinung nach ist es trotzdem über eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung möglich, Freiheitsgrade zu erhalten. Unser kleinstes Modell der Mission300 (siehe Ausgabe 2.19, Anmerkung der Redaktion) mit 10% umfasst nur 26 Arbeitstage im Jahr, inklusive Urlaub. Wir fragen genauso an wie vorher. Viele probieren es aus, wollen erhöhen.

Díez: Die Mitarbeiter von satis&fy sind aus der Geschichte heraus sehr freiheitsliebend. Daher haben wir versucht, unsere Range an Benefits so breit wie möglich aufzustellen und auf die Lebensphasen unserer Mitarbeiter anzupassen, je nachdem ob man z.B. zweifacher Vater ist oder noch jung und durch die Welt reisen will – dass man zwischen diesen unterschiedlichen Angeboten auch mal wechseln kann. Dieses Modell bieten wir bereits intern an und wollen es jetzt auch nach außen tragen.

Pohl: Es gibt es natürlich auch noch ein Riesenproblem auf einer ganz anderen Ebene. In unserem deutschen Sozialsystem sind hybride Arbeits- und Lebensformen überhaupt nicht vorgesehen. Wechselt man permanent zwischen Anstellung und Selbstständigkeit, muss man gewisse Gehaltsforderungen stellen. Denn derjenige würde ja nicht auf einmal seine Lebensversicherung streichen. Genauso nützt es ihm überhaupt nichts, als Angestellter mal zwei, zwölf oder 20 Jahre in das deutsche Rentensystem einzuzahlen, dann geht er am Ende mit Mindestrente nach Hause. Da hätte er auch zu Hause sitzen bleiben können und so dasselbe Geld bekommen. Aber ich verstehe natürlich, dass eine Firma sagt, dass sie diese Gehaltssummen im Fall einer Festanstellung nicht aufbringen kann.

Leyendecker: Was wir immer wieder feststellen müssen, ist, dass ältere Techniker dazu neigen, sich fest anstellen zu lassen. Das hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Da sie älter sind und weniger leistungsfähig, werden sie weniger gebucht und haben so natürlich auch weniger Geld auf dem Konto. Dieser Personenkreis ist dann auch verhandlungsbereiter in Gehaltsfragen. Wir nehmen solche Techniker gerne, weil sie einen breiten Schatz an Erfahrung haben.

Pohl: Es gibt viele positive Gründe, warum man sowas macht. Entweder hat man nie daran gedacht vorzusorgen. So steht man mit 50 vor der Situation, bis ans Lebensende zu arbeiten, um über die Runden zu kommen, oder eine Festanstellung zu wählen. Oder man kann die steigenden Kosten der privaten Krankenversicherung nicht mehr bedienen. Wenn man sich fest anstellen lässt, bevor man 50 Jahre alt wird, hat man die Möglichkeit, in die Gesetzliche reinzukommen.

Ostermaier: Du hast etwas Wichtiges gesagt: Es ist im deutschen Vorsorgesystem nicht vorgesehen, dass man parallel fest angestellt und selbstständig sein kann. Das ist auch, behaupte ich, eines unserer Kernprobleme. Denn man muss sich recht klar für das eine oder andere entscheiden. Das ist schade!

Pohl: Wir als ISDV konnten im Zusammenschluss bzw. als Teil der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) – einem Zusammenschluss von mittlerweile 24 Verbänden aus allen möglichen Branchen mit insgesamt über 100.000 Mitgliedern – hier einen ersten Erfolg erzielen im Gespräch mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Dabei geht es um die Altersvorsorge- bzw. Sozialversicherungspflicht für Selbstständige. Die ISDV ist prinzipiell dafür, dass so etwas kommen muss. Viel zu viele Selbstständige denken überhaupt nicht daran vorzusorgen. Wir wollen aber, dass es Wahlmöglichkeiten gibt, und nicht alle in der gesetzlichen Rentenversicherung zwangsverhaftet werden. Denn wir alle wissen, was das für ein System ist, und dass man nicht unbedingt das herausbekommt, was man reinsteckt. Das heißt, es muss privatwirtschaftliche Produkte geben, die als Alternativen akzeptiert werden. Riester ist z.B. ein Modell, das nach rund 25 Jahren langsam greift; oder eine Erfassung in einem Versorgungswerk oder ähnlichem System. Wie bei Lobbyverbänden üblich, sind manche dafür, manche dagegen; das hat politische Hintergründe.

Wir unterstützen das, aber verbunden mit der Forderung, dass das Thema Scheinselbstständigkeit dann vom Tisch sein muss. Sicher müssen sich noch Leute, die sich betrogen fühlen oder in einer schlechten Position wiederfinden, wehren dürfen. Aber die aktive Untersuchung der deutschen Rentenversicherung muss aufhören. Das waren neue Worte für alle, die dort gesessen haben, weil sie die Verbindung zwischen Scheinselbstständigkeit und sozialer Absicherung noch nicht kannten: Das eine ist für die ein Zustand – abgesichert oder nicht –, und das andere eine persönliche Situation. Sprich: eine Beziehungsfrage zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, ob tatsächlich eine selbstständige Beziehung herrscht oder eine Weisungsgebundenheit. Diese unterschiedlichen Fragen versuchen wir mit dieser Forderung zu zentralisieren und sind hier auch nicht allein.

Sommer: Im besten Fall haben wir ja zwei Sachen aus diesem Prozess: Mehr Sicherheit in der selbstständigen Beauftragung, vielleicht aber eben auch eine Lösung für hybride Arbeits- und Lebensmodelle. Denn wenn ich in der Selbstständigkeit sowieso in ein Altersvorsorgesystem einzahle, kann ich es ebenso mit einer Teilzeitbeschäftigung kombinieren – auch bei mehr als einer Firma.

Ostermaier: Das würde tatsächlich spannend! Aus Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung betrachtet, ist es natürlich höchstgefährlich, wenn hier eine Menge Leute antritt, die die Versicherungspflicht völlig in Ordnung findet – allerdings, überspitzt formuliert, eben nicht in diese Rentenversicherung auch einzahlt. Was meiner Meinung nach dazu führen würde, dass das gesetzliche System komplett zusammenbricht. Das weckt natürlich viele Geister. Nicht umsonst gibt es für Berufsgruppen mit höherem Einkommen eigene Versorgungswerke, wie etwa bei Architekten, Rechtsanwälten und Steuerberatern.

Pohl: Also kommen wird es ganz sicher. Es soll noch bis Ende dieses Jahres eine erste Gesetzesvorlage dazu geben. Die Frage ist nur: Wie wird es ausgestaltet? Was für eine Empfehlung kommt vom BMAS und wie wird dieser Koalitionsvertragspunkt umgesetzt? Daran arbeiten wir momentan, dass das Gesetz nicht nur für den Moment toll für uns ist, sondern dass es sinnvoll für alle ist und insbesondere eine Tragfähigkeit für die nächsten 20 Jahre oder länger hat.

Schwierige Kunden- und Konkurrentenbeziehungen

EVENT PARTNER & PRODUCTION PARTNER: Sind Scheinselbstständigkeit und soziale Absicherung denn auf Seite eurer Auftraggeber, der Agenturen und Endkunden, ein Thema?

Díez: Wir haben uns stark damit auseinandergesetzt, welche Fehlkalkulation die Branche eigentlich schon immer mit sich trägt. Nämlich sehr hohe Kosten im Material, während das Personal sehr niedrig berechnet wird und gerade Planungskosten teils gar nicht. Wir müssen zusehen, dass wir die Branche ein Stück weit regulieren, um dafür zu sorgen, dass wir wieder Freiräume für die Erhöhung der Personalkosten schaffen. Natürlich ist es für Unternehmen schwierig, die kalkulatorische Basis, die sie über Jahrzehnte entwickelt haben, zu verändern. Plus das Risiko, dass der Kunde nicht mitzieht; auch dieser muss zunächst aufgeklärt werden. Aber das ist aus unserer Sicht eine der nachhaltigeren Lösungen. Ich denke nicht, dass der Kunde durch unsere Dienstleistung und Ansprache die Budgets verändern kann. Es geht eher darum, den Kunden aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass hier eine Dissonanz in der Bepreisung von Material und Personal besteht, was zu Lasten von Menschen geht.

Leyendecker: Der Kunde meint ja, dadurch, dass er schon in seine Vorbedingungen reinschreibt, der Technikdienstleister sei für alles haftbar und habe sich um alles zu kümmern, sei er aus der Verantwortung raus. Das ist natürlich in einigen Fällen nicht so. Deswegen ist dieser Leidensdruck, den wir haben, für den Kunden gar nicht zu spüren. Hauptsache er kauft günstig ein. Und wenn einer von uns über die Klinke springt, dann ruft er woanders an.

Sommer: Wir erleben einige Ausschreibungen, besonders im Automotive-Bereich, wo all dies vorab definiert wird. Da wird gefragt, ob wir mit Selbstständigen kommen, und falls ja, sollen wir für diese bitte Statusfeststellungsverfahren durchführen.

Ostermaier: Ich würde jetzt nicht so auf den Agentur-Part eindreschen. Wir müssen uns die gesamte Beauftragungskette anschauen, da geben die Agenturen doch lediglich vor, was ihre Kunden von ihnen verlangen. Aber im Prüfungsfall ist es doch so, dass wir als Technikdienstleister das größte Risiko hierbei tragen. In der Tat ist es dann regelmäßig so, dass beim Endkunden relativ entspannt gesagt wird: „Mach’ es halt gesetzeskonform. Wie ist mir egal; ich will es auch gar nicht so genau wissen. Ich drücke den Preis, irgendeiner sagt bestimmt ja!” Ob das rechtlich immer funktioniert, da wäre ich vorsichtig.

Sommer: Nehmen wir mal an, es käme zu dem Fall einer Kontrolle und Verurteilung, da aufgrund von Scheinselbstständigkeit Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten wurden, und das geprüft beklagte Unternehmen kann die Zahlung nicht leisten. Dann ist es noch nicht passiert, dass man an den Auftraggeber herangegangen ist, weil er im Grunde genommen der Nutznießer der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ist.

Ostermaier: Nicht in unserer Branche, das ist richtig, aber es gibt diese Fälle schon. Es ist ein schwieriges Thema, hierfür auf allen Seiten das notwendige Know-how und eine Sensibilität zu schaffen. Wir sind hier so sensibilisiert, weil wir zumindest glauben, dass wir als Dienstleister in dieser Konstellation die größte Bedrohungslage haben. Klar ist aber auch, dass es nicht so einfach ist, von heute auf morgen etwas zu ändern.

Leyendecker: Ich bin eh dafür, dass in unserer Branche viel mehr oder fast nur noch Festangestellte eingesetzt werden. Das würde nämlich ein weiteres Problem lösen: dass kleine Firmen mit ein bis zwei Festangestellten Riesenjobs abgreifen, weil sie sich am freien Markt an der Technik und am Personal bedienen. Das macht uns das Leben schwer. Das geht in anderen Branchen gar nicht: Wenn ein Handwerksbetrieb 20 Monteure hat, kann er 20 Kunden am Tag bedienen, und nicht noch den Einundzwanzigsten. Das würde auch einen anderen Impuls in der Branche setzen, da dieses Preisdumping – im Moment ein ernstzunehmendes Thema – wieder zurückgehen würde.

Sommer: Und das Schlimmste ist, dass es klappt! Wie können die den Job dieser kleinen Konstruktion an Firma geben? Die holen sich die Freelancer dazu und das Ergebnis passt. Alles richtig gemacht – bis auf die Tatsache, dass es vielleicht nicht so ganz legal ist, wie da gearbeitet wird.

Pohl: Hat das nicht auch etwas mit der Auswahlverantwortung der Auftraggeber zu tun? Wenn ich als Agentur oder als Industrieunternehmen eine Eventfirma beauftrage, bei der ich sehe, dass sie nur zwei oder sechs Angestellte hat, ich von denjenigen aber ein Großprojekt gestemmt haben will, müsste ich als Auftraggeber in der Konsequenz sagen, dass die das gar nicht leisten können.

Díez: Man bräuchte einen Einkauf, der ganzheitlicher und mehrdimensionaler denkt als nur für seinen Zuständigkeitsbereich und für seine Zahlen. Aber dennoch, wir sind im Projektgeschäft und müssen auch als Firma atmen können. Wir haben Produktionen, für die wir 30 Leute auf einmal brauchen, und bei der nächsten Produktion brauchen wir Leute mit einem ganz anderen Skill Set. Wir leben ja auch von dieser Diversität.

EVENT PARTNER & PRODUCTION PARTNER: Danke für eure Zeit.